Rückblick 2024

Verletzte, Kranke, Geflüchtete und insgesamt die Zivilbevölkerung Schutzzonen vor, die nicht angegriffen werden dürfen. Diese und andere international anerkannte Regeln aber werden immer häufiger missachtet. In vielen aktuellen Kriegen und Konflikten werden Krankenhäuser, Notdienste und zivile Einrichtungen teils gezielt angegriffen. „Die Folgen von bewaffneten Konflikten für die Zivilbevölkerung sind dramatisch, sie sind für uns schlichtweg häufig unvorstellbar”, betont Christian Reuter, Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Er verwies im November 2024 auf die Lage im Libanon: „Gerade der Rettungsdienst des Libanesischen Roten Kreuzes ist im Dauereinsatz und enorm gefordert, Einsatzfahrzeuge sind durch Beschuss beschädigt.“ Mit seinem Einsatz leistet das Deutsche Rote Kreuz zwar weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung des Gesundheitswesens. Doch wie auch im Gazastreifen, der Ukraine und vielen anderen Kriegsgebieten sind die Rettungskräfte im Libanon der ständigen Gefahr vor bewaffneten Angriffen ausgesetzt. Hilfe braucht Finanzierung Gerade jetzt, da Helfende unter Beschuss stehen, braucht es eine Stärkung der Humanitären Hilfe – und keine Kürzung der Mittel. Während aber über 300 Millionen Menschen weltweit auf humanitäre Hilfe angewiesen und über 100 Millionen auf der Flucht sind, ziehen sich immer mehr Geberländer aus der Nothilfe zurück. Die USA haben die staatlichen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe drastisch reduziert, und auch Deutschland zieht sich mehr und mehr aus der Verantwortung zurück. Das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe kritisiert die Kürzungen und fordert einen Richtungswechsel (Seite 7). Angesichts der besorgniserregenden Situation in vielen Weltregionen und der Not vieler Menschen seien neben privaten Spenden auch staatliche finanzielle Mittel dringend notwendig. Wer heute in Kriegs- und Krisenregionen hilft, tut das unter ständigem Risiko. Denn humanitäre Helferinnen und Helfer sind zunehmend selbst Gewalt ausgesetzt, weil sie ihrer Aufgabe nachgehen: Leben zu retten, Leid zu lindern, Menschen in größter Not beizustehen. Das ist eine dramatische Entwicklung – und sie betrifft längst nicht mehr nur vereinzelte Konfliktregionen. Humanitäre Hilfe gerät weltweit unter Beschuss. Im Jahr 2024 sind 280 humanitäre Helferinnen und Helfer getötet worden. Eine Zahl, die uns erschüttert. Denn tödliche Zwischenfälle sind längst keine tragischen Einzelfälle mehr, sondern Ausdruck eines gefährlichen Trends: Humanitäre Organisationen verlieren in vielen Konflikten ihre über Jahrzehnte hart erarbeitete Rolle als neutrale Instanz. Immer häufiger werden Helfende nicht mehr als unparteiische Akteure anerkannt, sondern als Gegner gesehen – als Hindernisse, als Zeugen, als Zielscheiben. In manchen Fällen stehen wirtschaftliche Interessen wie Lösegelder hinter den Angriffen, in anderen politische oder ideologische Motive. Das humanitäre Völkerrecht, das eigentlich den Schutz der Hilfe garantieren soll, wird in solchen Kontexten systematisch missachtet. Diese Entwicklung ist alarmierend. Denn sie bedeutet nicht nur eine wachsende Gefahr für unsere Mitarbeitenden – vor allem für unsere lokalen Partnerinnen und Partner, die oft unter massivem Risiko arbeiten. Sie bedeutet auch: Die Hilfe kommt nicht mehr an. Wo Sicherheit fehlt, können wir nicht arbeiten. Und wo wir nicht arbeiten, wächst das Leid. Besonders erschütternd sind die Erfahrungen im Gazastreifen – derzeit der tödlichste Einsatzort für Helfende weltweit. Auch wir bei Caritas international mussten dort den Tod von Kolleginnen und Kollegen beklagen. Und das an einem Ort, an dem die humanitäre Not unermesslich ist. Dass das Helfen gerade dort zur Lebensgefahr wird, wo Hilfe am dringendsten gebraucht wird, ist eine bittere Realität, die wir nicht hinnehmen dürfen. Was es jetzt braucht, ist ein deutliches internationales Signal: Der Schutz der humanitären Hilfe ist kein Nebenthema, er ist ein Prüfstein für unsere gemeinsame Menschlichkeit. Wir fordern, dass das humanitäre Völkerrecht geachtet und durchgesetzt wird. Dass die Verantwortlichen für Angriffe auf Helfende zur Rechenschaft gezogen werden. Und dass lokale Helferinnen und Helfer besser geschützt und unterstützt werden – denn sie tragen die Hauptlast dieser gefährlichen Arbeit. Humanitäre Hilfe darf nie politisches Kalkül sein. Sie muss frei, unabhängig und allein dem Wohl der Menschen verpflichtet bleiben. Wenn Helfen gefährlich wird, ist Schweigen keine Option. Helfende im Kreuzfeuer DR. OLIVER MÜLLER Vorstand für Internationales, Migration und Katastrophenhilfe des Deutschen Caritasverbandes und Leiter von Caritas international. 9

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